In flagranti erwischt!
Am Montag spielen die Rolling in Stones in Wien, in Salzburg waren sie schon am Freitag. Wer diese Behauptung übertrieben findet, war nicht dabei beim Konzert von Inflagranti am Freitag in der ARGE Nonntal. Was ist das für ein geiler Sound, noch einmal besser als vor einem Jahr am gleichen Ort! Das rumpelt und rockt dahin wie auf der Autobahn, so richtig dreckig wie auf der Baustelle, die Mischmaschine dreht sich und die Altherren schaufeln ihre Zutaten hinein, jeder hat seinen eigenen Arbeitsstil. Fangen wir an mit dem Frontmann Dr. Fredibus, der Mann kommt frisch aus dem Fitnessstudio, fit wie ein Turnschuh oder eben wie Mick Jagger, so turnt er herum auf der Bühne, stoppen kann ihn nur das Stromkabel, wenn es sich verheddert. Das Gesicht ist eine Reliefkarte, das Leben hat die Spuren und Kanten hinein gemeißelt, sie erzählen von Genuss und Untergang, von Exzess und Askese, von Hingabe und Erlösung, kurzum, es ist ein Rolling Stones Gesicht, es könnte Keith Richards sein, aber der steht ja neben dem Doktor und heißt in diesem Falle Fritz Huber. Gewöhnlich ist bei diesem Musiker nur der Name, sein Gitarrenspiel ist wahrhaft göttlich. Mit stoischer Ruhe steht Fritz am Bühnenrand und lässt seine Riffs herunter, jeder Griff sitzt perfekt, alles super getimed und dabei verzieht der Künstler keine Miene. Nur selten huscht ein glückliches Lächeln über sein Gesicht, davon möchten die Frauen im Publikum gerne mehr haben, könnte man sich vorstellen, diesen Musiker wollen sie im Bett aus der Reserve locken, ähnliche Kunstfertigkeiten erahnend, wie sie auf der Bühne zu sehen sind.
Sven, der Bassist, betreibt seine Werbung offener. Schon der tiefe Sound der Bassgitarre zielt auf den Unterleib und auch der Besitzer des Musikgerätes liefert eine attraktive Bühnenshow. Und da ist auch einiges besser geworden im Vergleich zum Vorjahr: Die Showelemente sind gut einstudiert und sitzen, das ES und das Ich gehen sogar in Körperkontakt, das sollte analysiert werden. Analyse ist ja das Überthema: Dr. Fredibus stellt die Band als das ICH, das ES und das ÜBER-ICH vor, ganz im Freudschen Stil. Bevor die Therapie beginnt, müssen wir noch den hinteren Teil der Bühne besuchen. Dort sitzt Paul Donner am Schlagwerk, nicht ganz so im Rampenlicht, aber er treibt die Mischmaschine an, ohne diesen hämmernden Rhythmus ginge sich das Projekt nicht aus.
Noch etwas ist neu: Die Band holt sich Support auf die Bühne, „im Alter kann man Unterstützung brauchen“, erklärt der Chef dazu. Drei interessante Gestalten besteigen die Bühne, am Anfang noch unsicher, dann aber professionell kommt als Erster der Häuslbauer, der nicht die Bohrmaschine, sondern die elektrische Violine ansteckt und den Soundteppich noch dichter webt.
Dann der Philosoph, wie immer makellos im Armani -Anzug und Strohhut, er windet und krümmt sich auf der Bühne und entlockt seinem Instrument Töne zwischen Lust und schierer Verzweiflung, symbolisiert die existentialistische Sinnsuche, während die Psychodoktoren unbeeindruckt von diesem Kampf dahinrocken, nichts bringt sie ab vom Kurs.
Der dritte Bühnengast bringt noch einmal eine neue Generation ins Spiel, gemeint sind die Großväter. Der Pensionist wirkt auf den ersten Eindruck leicht verstaubt, Haare jetzt wirklich grau, etwas bleich im Gesicht, möglicherweise von streng vegetarischer Ernährung oder dem Bühnenlicht, an der Schulter eine ominöse Umhängeledertasche, deren Geheimnis im Laufe des Gastspiels für den neugierigen Zuschauer leider nicht gelüftet wird, in der Hand das glänzende Instrument. Zuerst vorsichtig, dann entschlossen mischt sich der Musiklehrer ins Ensemble und entlockt dem Saxophon meisterliche Töne, hier ist kein Laie, sondern ein Könner am Werk, der schon einen langen Weg der Suche gegangen ist und den, aus seiner Sicht, jugendlichen Musikern etwas Schönes mitgebracht hat. Da bedankt sich Dr. Fredibus auch artig und stellt eine Zugabe in Aussicht, die dann auch vom Publikum gnadenlos eingefordert wird. Und dann ist sie vorbei, die Therapiestunde und die Besucher stehen erschöpft, aber glücklich in kleinen Gruppen zusammen. Man kennt sich von früher, aus verschiedenen Lebensstationen. „ Acht Jahre habe ich noch bis zur Pension“, sagt ein pragmatisierter Beamter zu einer Kollegin, die noch immer von den Anstrengungen schnauft und röchelt, und weiter „als Lokführer wäre ich schon längst in Pension!“ Schon der Schriftsteller ETA Hoffmann hatte eine beamtete Tagseite und eine exzessive Nachtseite, vom zweiten Teil ist nicht mehr so viel geblieben, also bleibt es beim Träumen und ein Inflagranti Konzert eignet sich hervorragend dafür: Während die Bandmitglieder durch den Adrenalinschub bis in die grauen Morgenstunden keinen Funken Müdigkeit verspüren und hinter den Kulissen die Aftershowpartie mit Drogen und wilden Groupies erst ihren Anfang nimmt, geht es für einen Großteil des Publikum Richtung Eigenheim und man kann diese Menschen in flagranti erwischen, beim Träumen von einer Karriere als Rockmusiker (nicht als Eisenbahner), der Modus nennt sich Konjunktivus irrealis, auf Deutsch „Wunschkonjunktiv“, wie der Therapeut eindeutig diagnostiziert. Ein Trost zum Schluss: Der Heilungsprozess hat begonnen, jeder Besucher hat Aussicht auf Erlösung und ewige Jugend und die Sitzungen werden mit ständig steigernder Intensität fortgesetzt. Damit lässt sich super leben!
Konzertkritik eines Inflagranti Fans (14.6.2014)